Handys werden zu Gesundheitsberatern für Kids

27 August 2008

Damit übergewichtige Teenager von heute nicht zu Risikopatienten von morgen werden, haben die MEDIGREIF-Inselklinik Heringsdorf (Usedom) und das Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung (IGD) Rostock jetzt eine Gemeinschaftsstudie auf den Weg gebracht. Die Forscher untersuchen und bewerten mittels Sensoren die Ernährungs- und Bewegungssituation von adipösen Kindern zwischen 11 und 17 Jahren – mit Hilfe des Handys.

Die Anzahl übergewichtiger Kinder und Jugendlicher ist alarmierend hoch. In den letzten zwanzig Jahren hat sich der Anteil übergewichtiger Jungen verdoppelt; der von Mädchen sogar verdreifacht! Hauptgründe für diese Entwicklung sind vor allem falsche Ernährungsgewohnheiten und Bewegungsmangel. Doch wie kann dieser Trend dauerhaft umgekehrt werden? Eine Lösung für dieses Problem testen seit Kurzem die Ärzte und Psychologen der Fachklinik für Kinder und Jugendmedizin der MEDIGREIF-Inselklink Heringsdorf und die Forscher des Fraunhofer IGD Rostock, unterstützt durch Sony Ericsson Deutschland und Vodafone. In einer Anfang Mai gestarteten Gemeinschaftsstudie rücken sie überflüssigen Pfunden zu Leibe und helfen betroffenen Kindern beim Abnehmen und anschließend beim Gewichthalten. Zwischen 80 bis 120 übergewichtige Kinder im Alter von 11 bis 17 Jahren werden die kommenden Wochen und Monate in der MEDIGREIF-Inselklinik verbringen und dort hinsichtlich ihrer Ernährungs- und Bewegungssituation beobachtet und unterstützt.

Ihr ständiger Begleiter wird dabei das Handy sein, das mittels eines integrierten Bewegungssensors die körperliche Aktivität der Kinder erfasst. Die mit Sensoren ausgestatteten Handys wurden bislang nur zur Musiksteuerung genutzt. Die dafür vom Fraunhofer IGD Rostock entwickelten und im Handy integrierten Algorithmen erfassen die physische Aktivität, erkennen Bewegungsmuster und unterscheiden zwischen den einzelnen Bewegungszuständen wie beispielsweise „Ruhe“, „Laufen“, „Hüpfen“ oder „Radfahren“. Misst der Sensor über einen längeren Zeitraum am Tag keine oder unzureichende körperliche Aktivität, wird das betroffene Kind von seinem Handy darauf aufmerksam gemacht. Umgekehrt erhält es eine Art digitales Geschenk, wenn es besonders aktiv war. So erhalten die jungen Probanden regelmäßig eine Rückmeldung zu Ihrem Verhalten und schärfen ihr Bewusstsein für eine gesunde Lebensweise. „Besonders wichtig ist es uns, einen dauerhaften, über die Studienlaufzeit hinaus anhaltenden Therapieerfolg zu erzielen“, sagt Gerald Bieber, Forscher am Fraunhofer IGD Rostock. Damit die Kinder ihren neuen, gesunden Lebensrhythmus auch später im normalen Alltag beibehalten und nicht in alte Lebensweisen zurückfallen, nutzen sie die Handys auch nach dem klinischem Aufenthalt im häuslichen Umfeld weiter.

Ein weiterer Vorteil dieser Form der Eigenbeobachtung: Die Patienten brauchen künftig keine handschriftlichen Ernährungsprotokolle mehr führen. Im Gegensatz zu solchen Listen kann mit dem Handy die Nahrungsaufnahme lückenlos und zeitgetreu erfasst werden, da die Kinder jede einzelne Mahlzeit mit der Handykamera fotografieren können. Ähnlich wie Sachverständige mit Fotos ihre Gutachten erstellen, wird nun vom Patienten selbst mittels Fotografieren des Essens die Ernährungssituation erfasst. Die Bilder werden elektronisch an den Ernährungsberater geschickt, der sie später gemeinsam mit den Probanden auswertet.

„Die Möglichkeit, die Aktivität und Ernährungssituation von Patienten kontinuierlich mit nur einem tragbaren Standardhandy beobachten und analysieren zu können, ist entscheidend für den Erfolg medizinischer Langzeittherapien“, so Bieber. „Auf dieser Grundlage wird es zum Beispiel schon bald möglich sein, Diabetespatienten bei der täglichen Bestimmung ihres Insulinbedarfes zu unterstützen, denn auch der hängt entscheidend mit der individuellen körperlichen Aktivität des Betroffenen zusammen.“ Zu diesem Zweck arbeitet das Fraunhofer IGD bereits seit 2005 an dem Projekt „DiaTrace“, das bereits bei einem Ideenwettbewerb prämiert wurde und nun zur breiten Anwendung kommen soll. Hierfür werden dann in einer Folgestudie erwachsene Diabetespatienten mit einem Bewegungssensor ausgestattet und untersucht.

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